16.07.2004 Mainpost

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16.07.2004

Aus der Illegalität 
auf die Anklagebank

Mit zwei Kindern jahrelang abgetaucht

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Von unserem Redaktionsmitglied
       Gisela Schmidt
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WÜRZBURG / BAD NEUSTADT
Wegen „Entziehung von Minderjährigen“ hat das Würzburger Amtsgericht eine 35-Jährige zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt. Die Frau war nach einem Sorgerechtsstreit zusammen mit ihren Kindern über vier Jahre lang in die Illegalität abgetaucht.

Jahrelang führte Susanne W. (Name geändert) ein ganz alltägliches Leben: Schule, Ausbildung, Beruf. Dann, 1994, ein Einschnitt: Susanne W. wird Opfer eines schweren Verkehrsunfalls. Wochenlang liegt sie im Koma. Als es ihr besser geht, kommt sie in eine Reha-Klinik in Münnerstadt (Lkr. Bad Kissingen). Und lernt hier den Mann kennen, den sie für den Richtigen hält. Als sie Ende der 90er Jahre erkennt, dass er es nicht ist, hat sie zwei Kinder von ihm. Das Ehepaar trennt sich, streitet erbittert um die elterliche Sorge.
Das Familiengericht Bad Neustadt (Lkr. Rhön-Grabfeld) spricht Susanne W.`s Ex-Mann das Aufenthaltsbestimmungsrecht für die Geschwister zu. Aber die Mutter darf Ende 1999 mit ihnen zu einer Kur fahren.

Von Detektiven gesucht
Nach der Kur gibt Susanne W. die Kinder nicht zurück und ihr Ex-Mann erwirkt eine einstweilige Anordnung. Am Morgen des 23. Dezember 1999 steht der Gerichtsvollzieher vor der Tür und will die Geschwister abholen. „Sie sind nicht da“, sagt Susanne W., „sie kommen erst um 18 Uhr zurück.“ Als der Beamte später wiederkommt, ist die Wohnung leer. Susanne W. hat einen Koffer gepackt und ist mit dem damals Vierjährigen und seiner zweijährigen Schwester abgetaucht in die Illegalität.
Ihr Ex-Mann lässt seine Kinder mit Hilfe einer Detektei in ganz Europa suchen. Aber sie bleiben unauffindbar. Auch für die Polizei, die einen Haftbefehl gegen Susanne W. hat. Vier Jahre und zwei Monate ist Susanne W. verschwunden. Vier Jahre und zwei Monate lebt sie unter falschen Namen, meldet ihre Kinder unter falschen Namen in Kindergärten an, lässt sie unter falschen Namen einschulen.
Seit 9. März 2004 ist Susanne W. wieder da. Sie hat jetzt einen neuen Namen. Und einen neuen Mann. Die Hochzeit war der Grund, warum die 35-Jährige aufflog. Sie hat mit offenbar gefälschten Papieren geheiratet und die Behörden haben das gemerkt. Bei ihrer Festnahme enthüllt Susanne W. ihre wahre Identität. Es folgen sechs Wochen Untersuchungshaft.
Nun stand Susanne W. in Würzburg vor Gericht. Sie gab zu, ihrem Mann die Kinder entzogen zu haben. „Es war eine Notbremse“ sagte sie weinend, „ich wollte nicht auf sie verzichten.“ „Sehen Sie jetzt ein, dass Sie etwas falsch gemacht haben?“, fragte der Staatsanwalt. Susanne W. überlegte eine Weile. „Ich habe unrechtmäßig gehandelt“, antwortete sie dann.
Das Gericht verurteilte die 35-Jährige zu einem Jahr und zehn Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung. Eine Geldstrafe muss Susanne W. nicht zahlen. Sie habe kein eigenes Einkommen, sagte sie. Und für die Interviews, die sie Zeitungen und TV-Sendern während ihres Lebens in der Illegalität gegeben hat, habe sie kein Geld bekommen. Susanne W. muss auch keine gemeinnützige Arbeit leisten. „Sie sollen ganz für die Kinder da sein“, sagte der Richter, „und ihnen helfen, wieder Kontakt zum Vater aufzubauen.“ Susanne W. nahm das Urteil sofort an.

Neues Leben in Hamburg
Sie wohnt jetzt mit ihrem Mann in Hamburg. Das Jugendamt hat entschieden, dass die Kinder vorerst bei ihr bleiben. Ihr Ex-Mann hat ein Besuchsrecht. Eine familiengerichtliche Entscheidung ist noch nicht ergangen. Die Kinder würden sich nicht gerne mit ihrem Vater treffen, hat Susanne W. während des Prozesses erzählt. Der Richter hat sie gewarnt: „Sollte er ein Umgangsrecht bekommen und Sie vereiteln es, wird die Bewährung widerrufen.“